ausstieg aus der stadt

schon in spanien waren die städte zwar eine infrastrukturelle fundgrube an dingen, die eine pilgerin braucht und auch nicht braucht. manchmal sind (grosse) städte zu fuss schier unermesslich. lange brauchts, bis die pilgerin den kern erreicht und genauso ist es beim hinaus gehen.

als zurück-pilger habe ich in den städten noch eine weitere hürde zu nehmen: hinaus finden. so gut ich heute nach nogaro geleitet wurde, so schlecht war das hinaus kommen. kaum hatte ich die letzten häuser hinter mir gelassen, wurden auch die zeichen weniger. wenn es für die pilgerin keinen weg nach links oder rechts gibt, braucht sie auch kein zeichen (auch wenn es gut tut, immer wieder mal eines in den blick zu bekommen). so weit, so gut. was aber, wenn es dann nicht mehr geradeaus geht? mein letztes zeichen führte mich geradeaus. und dann war der weg zu ende. nach rechts gehe ich nur zurück, also am ehesten nach links. wenn der weg dann auch aufhört, ist er wohl falsch gewesen. so bin ich wieder zurück zum letzten zeichen (pilgerinnen-weisheit) und habe sehr aufmerksam das letzte stück noch einmal gemacht. mit der erkenntnis ‚ich habe nichts übersehen‘. meine lösung: die etwas einfache karte des miam-miam-do-do nach der sonne einnorden und die richtung zum nächsten camino-teil anvisieren. also pilgerte ich zwischen wiesen, gräben und äckern durch bis ich wieder menschliche behausungen betrat. dort erfuhr ich dann, dass ich einen halben kilometer quasi zurück musste, um den camino wieder unter den etwas lädierten beinen zu haben. aber wie heisst es unter pilgerinnen? „auch das ist der camino!“

hunde

wer auf dem camino unterwegs ist, trifft nicht nur pilgerinnen, hospitalieras und andere eingeborene menschen. auf dem ganzen weg begegnete und begegne ich vielen hunden (und hündinnen 😉 .

bei den hunden ist es wie mit den menschen – jede ist anders: grosse und kleine, dunkle und helle, laute und leisere, dünne und dicke, mit hohem und mit tiefem bellen, ruhige und aufgeregte. eben wie bei den menschen.

bei den hunden kommt noch eine eigenschaft dazu: angekettet, eingesperrt und frei. dies hat auswirkung auf ihr verhalten! sind sie ihrer freiheit beraubt, reagieren sie meistenteils laut, aufgeregt und auch aggressiv (verständlich, auch wenn es mir sicherheit gibt). sie zerren an ihrer kette oder sie rennen irrsinnig den zaun hin und her.

sind sie frei, dann kann man leicht ihren eigenen charakter erkennen. die gemütlichen beachten einen nicht oder schauen mir nur schläfrig nach. die neugierigen kommen auf mich zu, beschnuppern mich und gehen wieder. die (meist jungen) spieler umtänzeln mich, wahren aber letztlich meine intimsphäre. die vorsichtigen wächter bellen mich an, bleiben aber stehen, solange ich weiter meinen weg gehe. die eifrigen wächter springen bellend auf mich zu (mein adrenalinspiegel steigt!), so dass ich langsam aber eindeutig die strassenseite wechsele. bei den übereifrigen wächtern stellen sich schon mal die nackenhaare (erst ihre, dann meine) und es liegt ein ton in der stimme, der nicht freundlich ist. wenige male haben wir uns – face to face – ganz langsam voneinander entfernt, wobei ich versuchte um so freundlicher ein gespräch in gang zu setzen. und in allen fällen hat das zum glück geklappt. nur einmal nicht so recht.

dem kleinen hippeligen bin ich wohl zu schnell und zu nahe an herrchens herberge ran. da dieser erst sekunden später (zum glück) kam, hat mir der kleine ins hosenbein gezwickt. sekunden-bruchteile später war er gottseidank wieder friedlich. da hatte ich mir einen stock gewünscht!

die mir sympathischsten hunde habe ich in galicien getroffen. sie liegen mitten auf der strasse und dösen vor sich hin. egal wer oder was vorbei kommt, sie heben vielleicht gerade den kopf und schauen einem nach um dann weiter zu pennen.

einübung von langsamkeit

solange körperteile (nicht nur die!) normal mitarbeiten, fallen sie nicht auf. sie sind da, tun ihren job und gut ist. spüren und auffallen – das gibt es erst, wenn es nicht mehr rund läuft.

heute lief es bei mir überhaupt nicht rund! die erfahrung von gestern steckte mir noch in den knochen – denen von rechts unten. von anfang an versuchte ich langsam zu gehen. gestern gab mir das der schmerz vor. heute war er ja (erst mal noch) nicht da. und nun musste der kopf bzw. das hirn die langsamkeit vorgeben. das ging auch eine weile recht gut. nur hatte das noch ein paar weitere dinge zu tun (nach zeichen schauen und die richtung koordinieren, energienachschub organisieren usw.). und es hat einfach zwischendurch nach lust und laune experimentieren wollen (sinnieren, ideen entwickeln, nach-denken usw.). immer wieder zog ich die bremse an, und irgendwann war ich wieder etwas zu schnell. kleine pausen sorgten dann für erholung. schliesslich kam der schmerz zurück und bremste aus.

als dann noch die herberge geschlossen hatte, in der ich unterkommen wollte, war mir klar, jetzt geht nichts mehr! ein taxi brachte mich vom land in die nächste stadt. mit hilfe einer pilger-freundin hatte ich dann im 4. anlauf ein bett.

 

gute zeichen, schlechte zeichen

die spanierinnen können weniger asphalt, aber die französinnen können bessere rückwärtszeichen! (nachdem mich meine jüngste tochter ganz höflich gefragt hat, ob eigentlich nur männliche pilger unterwegs seien – was ja ganz und gar nicht so ist – muss ich meinen schreibstil leicht verändern. du hast völlig recht! ich gelobe besserung, lisa!)

also, seit frankreich habe ich sehr viel weniger probleme den rechten weg zu finden. der chemin st. jacques ist hier identisch mit dem GR65 (grande -wander-route). und dieser GR65 ist nach beide n seiten beschildert. ich muss mich nicht mehr umdrehen und schauen, ob ich den richtigen weg eingeschlagen habe. ich muss auch nicht mehr rätseln, aus welcher richtung ein pfeil gemeint ist. an jeder abzweigung gibt es nun klare angaben in welche richtung ich gehen muss. damit kann ich von daher auch gut damit leben, das mir sehr viel weniger pilgerinnen entgegen kommen.

aber ich laufe sehr oft auf asphalt. wie viele andere pilgerinnen der anderen richtung vor mir versuchte ich die seitenstreifen zu nutzen. das ist teilweise sehr gut möglich (zu sehen an den schmalen ausgetretenen pfaden neben der strasse). der seitenstreifen kann aber auch sehr schräg oder uneben sein, dann ist im vergleich dazu der asphalt die leichtere oberfläche.

kurzum: mir tut das rechte (schien)bein immer mehr weh. als ich dann an meinem – vermeintlichen – ziel an die herberge komme, heisst es, der ‚patrone‘ sei nicht da, die herberge ist geschlossen. und dann hilft auch nicht weiter, dass im aktuellen camino-führer von 2014 steht, sie sei bis oktober geöffnet. also versuche ich aufrechten ganges die nächsten 4 kilometer mit meinem bein zu bewerkstelligen. der lohn der qual ist ein chambre d’hôtes mit einem freundlichen älteren ehepaar, einem wunderbaren abendessen und einem zimmer, in dem ich mich ausbreiten kann.

asphalt, asphalt, asphalt…

der tag fängt gut an: frisches brot, richtige butter, zwei sorten marmelade, o-saft, guter kaffee und joghurt hat mir Mme. Marie-Jo (von meinem chambre d’hôtes) hingestellt. und bei meiner bitte um wasser für meine flasche hat sie meine französisch-fortschritte gelobt. schliesslich hat die ältere dame (auch mit  hörproblemen) mich zum gartentor begleitet, um mir den weg in die richtige richtung zu zeigen. mit bisou-bisou und einem ‚bon chemin et bon courage‘ verabschiedet sie mich.

wie schon an den vortagen ist der weg gar nicht so gut und ich brauche viel mut. überwiegend besteht er aus asphalt. und heute ging es dann auch noch auf und ab (wobei mir auf tausend mal lieber ist als ab). das können die spanier besser – camino-oberflächen aus asphalt gab es dort im verhältnis deutlich weniger. nun muss ich mehr mit asphalt leben, bzw. auf ihm gehen. auf die dauer ist das anstrengend und kräfte zehrend. und so taten mir doch recht die beine weh, als ich in der neuen herberge ankam.

 

hier ist es richtig sommer

seit einigen tagen scheint hier die sonne von einem strahlend blauen himmel herab. wenn einem nicht immer das wort ‚oktober‘ ins auge springen würde! temperaturen und alles drum herum versetzen einen in den august oder september.  die wenigen pilger wandern bei einem wetter wie im sommer.

besonders schön sind die sonnenaufgänge, die ich im laufen anschauen kann. immer gen osten und früh genug auf den weg gemacht, erlebe ich die schönsten himmelsszenarien: wie die farben des morgenhimmels sich mit dem aufgang der sonne verändern, wie die sonnenstrahlen mit den wolken spielen und wie dieser leuchtende ball hinter dem horizont hervor kommt und sich in den himmel erhebt. das ist fernsehen der premiumklasse!

heute morgen war es besonders spannend, ob ich dieses programm wieder betrachten kann. nachdem mein handy wieder die richtige zeit anzeigte, sagte sich auch der sommerzeitwechsel an. hatte ich am vorabend richtig gerechnet? – wie bei den vorherigen morgen konnte ich auch heute wieder an diesem imposanten natur-schauspiel teilhaben.

in die tiefen des landeswechsels

ein neues land braucht neue grundlagen. ich besorge mir in mehreren anläufen eine französische telefon/internet-karte fürs handy. hat frankreich eine andere zeitrechnung? meinem handy nach haben wir hier den 1. august und eine ganz neue zeit. aber das problem ist nicht frankreich, sondern ‚le portable‘. das muss gerichtet werden und alles braucht seine zeit und so spendiere ich den vormittag für ganz andere dinge als laufen. nebenher komme ich langsam in die hiesige sprache rein.

und beim ersten unterwegs-frühstück möchte ein älterer franzose meine  sprachkompetenz weiter erhöhen. 30 jahre in deutschen städten ziehen in unserem gespräch vorüber. dabei wollte ich doch durch französische örtchen laufen. und gegen später möchte eine französin wissen wie das mit dem rückwärts-pilgern ist – natürlich in französisch.

abends komme ich in eine kleine alte dorf-herberge. keiner das ausser der putzfrau, die gleich nach dem monsieur ruft. statt ihm kommt ein anderer, der meint ich solle mir ein bett suchen und duschen, monsieur komme um 6 uhr. das waren auf ihn machen irgendwelche geräusche in der zimmerdecke spannender. ich kann weder innen noch ausser haus was finden. als monsieur kassieren kommt, schaut auch er nochmal, findet aber nichts. nach dem abendessen in der dorfkneipe schliesse ich mich erst mal im haus ein. da fühl ich mich schon weniger unheimlich. dann ziehe ich mich in den schlafraum zurück, den ich nun als einzelzimmer nutze. in der nacht wache ich an diesen besagten geräuschen auf. mit der stirnlampe leuchte ich die decke auf undichte stellen ab. ich entdecke keine, es ist nun sich wieder still geworden. am nächsten morgen verlasse ich wohlbehalten die herberge mit einer für mich bisher einmaligen erfahrung.

 

 

 

 

 

hinauf in ein neues land

heute ging es von roncesvalles aus zuerst einmal nur hinauf in die pyrenäen. je höher, desto steiler! und die ‚arbeit‘ wurde belohnt. ein letzter blick zurück nach spanien: das alte kloster roncesvalles im vordergrund, dahinter der spanische teil des baskenlandes und dahinter die schier endlose weite nordspaniens – fast 800 km hatte ich bis hierher zurückgelegt. kaum zu glauben.

ganz allein steh ich hier im hohen grenzland von spanien und frankreich – bin stolz über das was ich hinter mir gelassen habe, freu mich über den augen-blick und bin gespannt auf das was noch kommen wird.

 

dann dreh ich mich wieder um und in strahlendem sonnenschein liegt mir frankreich zu füssen – vive la france! auch jetzt sehe ich in die nahezu unendliche weite des frankenreichs. zunächst mal gibt mir frankreich erst mal ordentlich was unter die sohlen: asphalt, asphalt und nochmal asphalt. mein langer asphalt-abwärts-weg wird in st. jean pied de port zuerst mal belohnt mit einer mandel-schoko-crêpe und einem café au lait. und zum zweiten mit einer wundervollen herberge, in der jeder willkommen ist und alle wie in einer grossen familie den abend verbringen mit spielen, essen, reden und lachen.

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adiós españa

mein letzter ganzer wandertag in spanien. und es zeigt sich dabei von seiner schönsten seite – strahlender sonnenschein, ich kann mir kein schöneres wetter wünschen.

da macht das gehen auch spass, wenn es (fast) nur bergauf geht. ich habe die pyrenäen erreicht! nun bin ich fast 800 km von santiago weg. was habe ich für erfahrungen machen dürfen! vom eingewöhnen in das’rückwärts-laufen‘ über die erlebnisse mit entgehen kommenden pilgerinnen und pilgern bis hin zu den eindrücklichen abenden der besonderen art (einmal-kontakte) in den herbergen. und dazwischen die unterbrechung in der heimat, die meine mutter mir hat zukommen lassen. das ist es, was mir energie gegeben hat: mich in meinem unterwegs-sein in der fremde beheimatet zu wissen! die steten sms und mails von renate und die sporadischen von meinen kindern. dazu die kommentare von freunden und verwandten in diesem blog. allen möchte ich hier ein grosses dankeschön sagen.

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the winner is …

heute habe ich mich von den grossen städten spaniens verabschiedet. ich habe die letzte hinter mir gelassen: pamplona. ich freu mich darauf, nun nur noch durch kleine dörfchen und natur gehen zu können.

aber eines muss man pamplona lassen – es hat sich in vertretung der grossen städte in sehr würdiger weise vom rückwärts-pilger verabschiedet. er – und jeder andere pilger, egal welche richtung – wird in vorbildlicher weise auf dem camino durch die stadt geführt. von stadtgrenze zu stadtgrenze sind durchgehend (!) im abstand von 5 bis 10 m metallkreise in der grösse von ca. 20 cm verlegt. kein verirren, kein verunsichert sein und kein suchen – besser kann man es nicht machen. so konnte ich bei wunderschönem wetter durch die stadt flanieren. dafür erhält pamplona von mir den goldenen pilgerschuh am bande für ihren grossartigen einsatz im dienste der jakobspilger. GRATULATION!

da können sich die anderen camino-grossstädte wie logroño, estella, burgos, Leon u.a. – und sogar santiago eine ordentliche scheibe abschneiden!

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erinnerungen

es vergeht kein tag, an dem an irgendeiner stelle erinnerungen wach werden aus den vergangenen jahren. ich gehe über einen hügel oder um eine ecke, und in meinem hirn gibt es ein lebhaftes bild dazu. erinnerungen aus diesem oder dem letzten jahr, als ich mit renate auf dem weg nach santiago war. so hat mein weg zurück noch eine zweite schicht, die an vielen stellen meinen weg bereichert.

ich mache allerdings auch die erfahrung, dass meine vorahnungen von dem, was nun kommt, ins leere laufen. nein, das muss doch woanders gewesen sein.  so bin ich auf estella zugegangen und ich war überzeugt, dass ich im vergangenen jahr hier andrea, eine junge pilgerin aus ungarn, noch einmal singen hörte. aber estella stellte sich jetzt als grosse stadt heraus, die eher magengrimmen verursacht. ich trat sofort die flucht nach vorne an und ging weiter. um dann einige ecken weiter festzustellen, dass es damals ein ätzend langer weg war, bis wir schliesslich in der Stadt waren. das sind ent-täuschungen – im wahrsten sinn des wortes.

heute sah ich eine beton(platten)wand und ich dachte, die kenne ich, nur mit einem drauf geschriebenen text. der zweite gedanke war, die gibt’s oft in spanien. und kaum war ich um die ecke, da stand sie nochmal da mit einem spanischen gedicht über den jakobsweg. so wird eine starke erinnerung schnell zur wirklichkeit.

ich gehe davon aus, dass die wenigsten meiner lese-begleiter des spanischen sehr mächtig sind. die deutsche übersetzung war auf der nächsten betonwand. von der gibt’s in der folgzeite fotos.IMG_20141019_082139

ver-rückt

heute früh um 5 uhr wurden wir 20 pilger vom ersten handy geweckt. so bald – verrückt, dachte ich mir, denn ich wollte doch erst um kurz vor 7 uhr geweckt werden. also versuchte ich weiter zu schlafen. ein paar andere packten nun ihre 7-sachen, daher legte sich eine gewisse unruhe in den raum. ich bemerkte, dass einige betten bereits verlassen waren. da nun gar nicht mehr an schlaf zu denken war, stand ich auch auf. in aller gemütsruhe vollzog ich mein morgendliches ritual. kurz nach 6 uhr stand ich schliesslich vor der herberge.

die suche nach einer zu dieser zeit offenen bar war auch in einer stadt wie logroño nicht einfach. ich war trotzdem erfolgreich und konnte nun eine gute halbe stunde früher als sonst meinen weg beginnen.

unterwegs kam mir in den sinn: wieso ’so bald – verrückt?‘ dann eher ‚warum so laut?‘ und was heisst überhaupt verrückt? eigentlich ist das, was ich tue auch verrückt.

ver-rückt. da ist was nicht mehr an seinem vorherigen platz, da ist wer nicht mehr im gewohnten verhalten drin, aus seinen gleisen raus. ungewohnt, nicht nachvollziehbar. da hat eine/r den standort verändert. und damit hat sich auch ihre/seine perspektive, ihr/sein blick-winkel verändert. eben halt etwas ver-rückt. verrückt!

das öffnet neue sichtweisen, eröffnet neue möglichkeiten und neue chancen. nun können die dinge, menschen anders angesehen werden…

nutzen wir das! ver-rückt sein, ver-rückt sehen, ver-rückt handeln. die chance, unsere welt noch etwas positiver zu gestalten.

ich war heute früher am ziel. so konnte ich dies ’nutzen‘, um (übrigens das erste mal auf meinem rückweg) im sonnigen nordspanien gemütlich einen vino bianco als aperitif zu trinken.IMG_20141021_203636

sonniger sonntag in der rioja

es werden immer weniger pilger. ich muss mehr und mehr mit der karte in der hand laufen. entweder die ungenauere jedoch aktuellere, oder die ältere und genauere. abwege gehören gerade zu meinem weg. dank von lieben und aufmerksamen eingeborenen menschen komme ich jedes mal wieder auf den rechten weg zurück.

und wenn die sonne so scheint wie in den tagen zuvor schon, so macht das laufen so spass, dass ich gut vorwärts komme. und zwischendurch kann ich noch schöne fotos machen. so habe mein erstes selfie gemacht. ich wollte einfach mal sehen wie ich mit meinem neuen sonnenhut aussehe. auch wenn es sicher noch keine glanzleistung ist, möchte ich es euch als mein erstlingswerk nicht vorenthalten.

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noch ein geburtstag

heute hat lisa geburtstag – sie ist nun ein viertel-jahrhundert alt. ich wünsche ihr, dass sie auch weiterhin mit ihrer herzlichen offenheit und ihrer nachdenklichkeit durch die welt schreiten kann und mit ihrer kreativität und kritischen sicht der dinge ihre welt gestalten kann.

die falle meseta

gestern saßen wir (ein australisches ehepaar mit erwachsener tochter, eine amerikanische frau und ich nach dem abendessen noch zusammen. auch die sehr herzliche hospitaliera war um uns herum. irgendwann ging es um die planung der nächsten tage. da werde ich immer wieder um einen rat gefragt.

so auch gestern in sachen meseta. ich erzählte von meinen guten erfahrungen mit der meseta. da meinte die hospitaliera auf spanisch, die meseta sei eine falle. nach einigen übersetzungsversuchen hatten wir klar, was sie meinte und waren ganz perplex. sie klopfte sich auf die brust und sagte „but is for the soul“. wegen sprachlicher kommunikations-hindernissen haben wir dies nicht mehr weiter diskutiert. heute ging mir das bild von der falle immer noch durch den kopf. vielleicht ist die meseta nicht nur bei grosser hitze gefürchtet. die eintönigkeit dieser landschaft kann einen schon auf sich selbst zurück werfen. vielleicht ist das eine weitere befürchtung bei pilgern…

augen-blicke

das wetter wird besser im laufe des tages. mit leichtem regen habe ich den tag begonnen. bald jedoch konnten die dunklen wolken ihr wasser halten. und irgendwann kam dann die sonne durch. mit ihr wurde es auch etwas wärmer. die ersten pilger, die mir entgegen kamen, waren noch recht vermummt und verpackt. später lichteten sich jedoch  mit dem himmel auch die gestalten. gesichter wurden wieder sichtbar. und wie in den ersten tagen konnte ich wieder in die verschiedensten gesichter schauen. ich sah helle und dunkle augen, scheue und offene augen, freundliche und in sich gekehrte. und immer wieder trafen sich augen-blicke. für mich waren dies nur ganz kurze, aber wunderschöne momente.

unwegsam

erschreckt nicht und bemitleidet mich nicht! freut euch mit mir – ich habe diese strecke erfolgreich hinter mich gebracht.

angefangen hat es mit nieselregen, der dann etwas mehr wurde. es waren zuerst nur grössere pfützen und drumherum schlammige wegesränder, mit etwas geschick konnte man gut vorbei kommen , ohne dass die schuhe gross dreckig wurden.

aber der regen wurde stärker. auf der ebene zwischen hontanas und hornillos kam nun noch kräftiger wind auf. rückenwind für mich – die pilger, die mir entgegen kamen, hatten es noch schwerer. für uns alle aber war der weg das grösste problem. auf gefühlten 6 – 7 km war dieser weg zur schlammpiste geworden. tiefe pfützen und grosse schlammflächen von wegesrand zu wegesrand. zum ausweichen keine chance – ein graben und umgepflügte äcker verhinderten das wirksam. da konnte kein schuh trocken, geschweige denn sauber bleiben. irgendwann ist weniger schlamm kein schlamm – also durch! und zwischendurch sorgten ranken von wilden rosen, an denen man hängen blieb, für weitere unwägbarkeiten. nach etwas über einer stunde tänzeln bis hin zu akrobatischen verrenkungen wurde der untergrund leicht fester und das gehen wieder leichter. – und richtig, da gab es ja noch was: auf dem rücken ist ein rucksack – ganz vergessen. doch nun stellt sich die frage, wie soll ich auf pilger reagieren mit dem wissen um den weg, den sie vor sich haben? geht da noch ein fröhliches „buen camino“? oder erst recht?

an diesem abend sind meine schuhe nass bis zu den socken. und meine füsse freuen sich auf eine warme dusche – nach der ich die erste camino-blase an ihnen entdecke.

 

ULTREIA

heute war wieder meseta angesagt, ein anderer teil. da war es nicht ganz so flach, da war ich so richtig drin in der natur. ganz allein auf meinem weg mitten durch abgeerntete felder und umgepflügte äcker. dazwischen ein paar hecken und einzelne bäume. sonst war nur stille um mich herum – richtige stille! kein fahrzeug, kein vogel, nichts war zu hören ausser meinen eigenen schritten. stehen bleiben und stille geniessen!

und irgendwann kamen wieder pilger auf mich zu. da sehe ich plötzlich ein bündel am wegesrand liegen, das sich dann als mensch herausstellt. ich überlege mir schon gezielte fragen, da setzt sich der mensch hin. als ich schliesslich bei ihm bin, steht eine pilgerin in voller grösse vor mir. aus dem scheinbaren bündel wurde eine kölner lehrerin, mit der ich ein längeres nettes gespräch hatte.

ganz anders verlief eine weitere begegnung später bei san nicolas. ich weiss nicht warum mir von weitem schon die vier gestalten aufgefallen sind. alle schwarz gekleidet – wegen des schlechten wetters arg vermummt. im vorbeigehen löst sich aus der gruppe ein dunkelhaariger mann mit grossem bart, kommt auf mich zu und fragt: „back from santiago?“ ich bejahte, worauf er fragt: „do you know the bless of ultreia?“ ich entgegnete, dass ich in st. jean pied de port ihn kennenlernte. da drückt er mir kräftig die hand, sagt „ultreia!“ und sieht mir tief in die augen. ich kann gerade noch gracias sagen, da hat er sich schon weggedreht und geht mit seiner gruppe weiter. das geschah innerhalb nur weniger sekunden – aber ich spürte im blick und im händedruck eine wahnsinnige energie. noch wenn ich dies aufschreibe, kann ich diese energie spüren und immer noch läuft mir ein wohltuender schauer über den rücken.

 

eben ist nicht wirklich eben

meseta – eine grosse ebene, durch die sich der jakobsweg kerzengerade durchzieht. über viele kilometer gibt es weder herberge noch laden, nicht mal trinkwasser-brunnen. in pilgerführern und bei pilgern ist diese wegstrecke gefürchtet, weil sie, wenn die sonne herniederbrennt, auch keinen schatten bietet. auf unserem weg nach santiago sind renate und ich ein solches stück zweimal gegangen. wir hatten glücklicherweise nicht so ganz hohe temperaturen.

nun liegt die meseta also vor mir und irgendwie freue ich mich auf diesen meditativen teil meines weges und bin nun gespannt, was er mir bringt. der weg liegt bis zum horizont sichtbar vor mir. ich sehe einige pilger entgegenkommen (wenn auch weniger als beim ersten teil der strecke). ist einer vorbei, tauchen am horizont weitere auf. während ich so pilger beobachte, fällt mir auf, dass immer wieder welche verschwunden sind und kurze zeit später sie langsam wieder aus dem weg in die höhe kommen. natürlich – die ebene der meseta ist eben nicht ganz eben. wie die hohenloher ebene hat sie ihre kleinen senken, in der gerade ein pilger ‚verschwinden‘ kann. auf dem hinweg ist mir dies nicht aufgefallen, da war ich wohl zu sehr ins gespräch vertieft.

ich bin aber wohl etwas zu schnell gelaufen, denn gegen ende tat mir mein rechtes bein etwas weh. das abendessen und die gespräche in der herberge haben dies aber voll und ganz ausgeglichen.

nachtrag

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für die beste aller ehe-frauen:

aufdem weg nach santiago hatten wir in der meseta einen imposanten blick (aus dem badfenster einer herberge) hinaus in den abendhimmel. renate (s.o.) bat mich um ein foto. hier ist es, nur nicht aus dem badfenster, sondern von vor der herberge. da wurde gerade geputzt und ich durfte das haus nicht betreten.

 

 

bin wieder auf dem weg

nach langem sitzen in zügen bin ich nun wieder am gehen. und die orientierung fühlt sich an wie eine zusammenfassung des ersten teils: nicht nur die gelben pfeile, sondern auch wieder die werbeplakate, die alle nach ‚hinten‘ ausgerichtet sind und die kleinen jerusalem-aufkleber zeigen mir den rechten weg. und pilger zu fuss und auf dem fahrrad leiten mich – aber es sind deutlich weniger. und nach einiger zeit bin ich wieder eingetaucht ins rückwärtslaufen.

oder besser: untergetaucht, denn die ganz neue erfahrung sind die zum teil kräftigen regenschauer. nasse von oben und nasse von unten.

so geben mir neben vielen zeichen für die grosse/grobe richtung nun auch die weiten und tiefen pfützen auf dem weg die feine richtung vor.

so richtig bin ich jedoch noch nicht wieder angekommen. akklimatisieren muss ich mich noch. bei meinem aufenthalt zuhause habe ich die sommerkleidung gegen wärmere und schnell trocknende ausgetauscht. innerlich brauche ich noch etwas zeit um mich wieder ins gehen einzufinden zu können.

dabei helfen mir begegnungen wie diese. ein pilger fragt: „back from santiago?“ auf mein ja folgt „and now to roma?“

es geht gleich weiter

meine mutter ist gestorben. ich konnte rechtzeitig bei ihr sein und sie auf ihrem weg in ein anderes sein ein Stück weit begleiten. bei aller traurigkeit bin ich dafür dankbar. ein ganz herzliches dankeschön an alle die menschen, die mir zur seite gestanden sind, die in gedanken und mit ihren worten bei mir waren.

bei einem weiteren – sehr schönen – ereignis konnte ich in der unterbrochenen zeit dabei sein. zwei tage nachdem mich meine mutter zurück holte, war unser sohn sebastian mit seiner julia auf dem standesamt. nun konnten wirklich alle elternteile dabei sein. es war ein wunderschöner fest-nachmittag, der seine fortsetzung am wochenende hatte. das frischgebackene ehepaar feierte mit dem schwiegervater den gemeinsamen  120. geburtstag.

für mich waren diese beiden sehr gegensätzlichen ereignisse nicht einfach ‚unter einen hut zu kriegen‘. ich denke, das gehen auf dem camino vorher hat mir dafür die nötige gelassenheit gegeben.

 

nun geht mein unterbrochener weg weiter. heute bin ich mit dem zug in burgos angekommen.